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Architect Interface: Raum – Architekt – Mensch

Essay
Architect Interface: Raum – Architekt – Mensch
von Barbara Holzer

Unsere Lebensräume beeinflussen unser Sein und Empfinden. Architekten und Stadtplaner kreieren gebaute Welten, die Menschen bewusst und unbewusst annehmen, in denen sie sich aufhalten, sich wohlfühlen. Genauso können aber Räume entstehen, die gemieden werden, die nicht einladend sind und Unbehagen auslösen. Unabhängig von der Gestaltungssprache erschließt sich die Qualität eines Raumes vor allem über die intuitive Akzeptanz der Nutzer. In einer Disziplin, die wie kaum eine andere das tägliche Leben aller Menschen bestimmt, ist es für Architekten eine stetige Herausforderung, mit allen Sinnen und aus den unterschiedlichsten Perspektiven die Wirkung eines Raumes zu lesen, zu interpretieren und dessen Qualitäten zu stärken.

Ein Dasein ohne den uns umgebenden – mehr oder weniger gestalteten – Raum besteht nicht. Jeder von uns bewegt sich tagtäglich in einem Kontinuum verschiedenster Räume mit unterschiedlichem Maßstab und von differenzierter Gestaltung. So nehmen wir zum Beispiel einen großmaßstäblichen Landschaftsraum in seiner Weite durch unsere Bewegung darin wahr. Durch das Schaffen eines Aussichtspunktes, eines Fokus, oder bestimmter Wegführung kann der Architekt die Betrachtungsweise verändern und schärfen.

Im städtischen Raum bestimmt die Komposition der Baukörper, Plätze und Gassen, Enge und Weite, den Ausdruck eines Ortes. Es bilden sich Räume mit unterschiedlichen Identitäten, die zum Aufenthalt einladen oder als Transiträume fungieren. Identitätsstiftende Orte und Bauten sind entscheidend für unsere kulturellen Wurzeln. Sie bieten Bezugs- und Ankerpunkte in einer globalisierten, sich stets wandelnden Welt.

Während wir uns durch Ortschaften und Städte bewegen nehmen wir bruchstückhaft Fassaden wahr, hinter denen sich Innenräume verschiedensten Charakters und Wirkung verbergen. Als Filter zwischen dem Außen- und dem Innenraum verbindet bzw. trennt die Gebäudehülle das Öffentliche vom Privaten, den exponierten Raum vom Rückzugsort. Die Form und Gestaltung eines Raumes entscheidet über seine positive als auch negative Wirkung, die jeder Mensch ganz unterschiedlich empfinden kann. Trotz verschiedener politischer, sozialer und kultureller Prägungen, die unsere Wahrnehmung und Kritik beeinflussen und unsere Handlungen und Reflektionen formen, erzeugen gebaute Räume im Menschen essenzielle und individuell wahrgenommene Sinneseindrücke.

An der Schnittstelle zwischen Raum und Mensch übernehmen wir als Architekten die Rolle des Regisseurs. Es geht dabei einerseits um das Lesen und Erkennen von räumlichen Potenzialen und andererseits um das Verstehen von gesellschaftlichen Bedürfnissen. Die gestalterische Sprache passt sich situativ an diese Faktoren an. Immer wieder werden Perspektiven neu konstruiert und der Raum unter anderen Aspekten betrachtet, gehört und gefühlt. Die Architektur birgt als Disziplin die Möglichkeit, auch Ephemerem konkrete Formen zu verleihen.

Oft werden Architekturen in ursprünglich nicht beabsichtigten Weisen interpretiert und genutzt. Diese Tatsache verlangt eine vollkommene Offenheit jeder neuen Aufgabe gegenüber. Die tatsächliche Auseinandersetzung mit dem realen Raum geht einher mit dem Eröffnen von Denkräumen – der Architekt braucht die Fähigkeit zur Imagination und zur Vermittlung der Wirkungsweise eines neuen und transformierten Raumes.

Seine Aufgabe ist es also, Potenziale zu entdecken, innen- und außenräumliche Qualitäten und deren Wirkungsweise seismografisch aufzuspüren, sie verstehen und erklären zu können und durch bestimmte Eingriffe sichtbar zu machen. Um neue Lesarten von Räumen zu entwickeln, gilt es die Bestehenden auch über lange Zeiträume hinweg zu erforschen und diese Erkenntnisse bei neuen Gestaltungsfragen miteinzubeziehen.

An zentraler Stelle steht das fortwährende Überprüfen der Beziehung von Raum, Mensch und Inhalt: Der interdisziplinäre Blick sowie eine konsequente Position zum baulichen Ausdruck eines Ortes muss mit einbezogen werden. Es bedarf eines ständigen Hinterfragens von gesellschaftlichen Veränderungen, einer geschärften Wahrnehmung der Strömungen, um aktuelle Bedürfnisse zu erkennen, zukünftige Anfordernisse zu antizipieren und basierend darauf neue Räume zu erschaffen, bestehende zu transformieren oder Alt und Neu zusammenzufügen.

Um die Wechselwirkung von Raum und Mensch zu verstehen, muss man diese erforschen und darin interagieren. Die Dinge manchmal sprichwörtlich auf den Kopf zu stellen und aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten kann dabei eine zielführende Methode sein, Räume neu zu interpretieren. Der Perspektivenwechsel lässt den Architekten relevante Themen erkennen und mit bestehenden Konventionen brechen.

Erfolgreiche, gelebte Architekturen zeichnen sich also – unabhängig von der Architektursprache – über die Akzeptanz der Menschen aus. Menschen besetzen Räume, erleben diese atmosphärisch, sind von ihnen angezogen und fasziniert. Oft reicht ein einfaches Hervorholen und Verdeutlichen räumlicher Potenziale und Qualitäten aus, um für die Gemeinschaft zukunftsfähige, städtische Orte der Identifikation zu gestalten und erlebbar zu machen.

Credits

© Paco Carrascosa, © Jan Bitter, © Beat Widmer